„Einfach 116 117 anrufen“? Eine Recherche des Berlin Buyers Club zeigt: In Berlin gibt es praktisch keine Long-COVID-Versorgung

Berlin, 28. April 2025 – Nach öffentlichen Äußerungen der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin (KV Berlin), Long-COVID- und ME/CFS-Betroffene sollten sich zwecks Vermittlung fachkundiger ärztlicher Hilfe einfach an die Terminservicestelle 116117 wenden, zeigt unsere aktuelle Recherche: Dieser Rat ist unzureichend und in hohem Maße irreführend.

Der Berlin Buyers Club – ein Aktivist*innenkollektiv, das sich für Long-COVID- und ME/CFS-Betroffene einsetzt – hat über 20 Erfahrungsberichte von Erkrankten und pflegenden Angehörigen ausgewertet, die dem Rat des KV-Vorstandsvorsitzenden Dr. Burkhard Ruppert gefolgt sind. Dieser hatte am 31. März 2025 während einer Anhörung im Berliner Abgeordnetenhaus erklärt, Betroffene könnten über einen Anruf bei der 116117 unkompliziert an Ärzt*innen mit Long-COVID-Expertise vermittelt werden.

Die Berichte belegen: Keine einzige der befragten Personen erhielt über die Terminservicestelle Zugang zu qualifizierter Versorgung. Eine gezielte Vermittlung an Ärzt*innen mit dem Schwerpunkt Long COVID ist nicht möglich. Stattdessen wurden Betroffene in Endlosschleifen an andere Stellen verwiesen und weitergeleitet oder erhielten die Empfehlung, Long COVID den Ärzt*innen gegenüber besser gar nicht zu erwähnen, um nicht direkt abgewiesen zu werden.

„Was wir aufgedeckt haben, ist erschütternd“, sagt ein Mitglied des Berlin Buyers Club. „Eine Vertreterin der KV Berlin hat sich mit einigen Betroffenen in Verbindung gesetzt und sich ihnen gegenüber herablassend und abweisend verhalten. Wir sind enttäuscht – und machen uns große Sorgen um unsere Mitbetroffenen“.

Die Recherche offenbart ein besorgniserregendes Muster:

  • Entgegen der öffentlichen Darstellung vermittelt die Terminservicestelle der KV Berlin keine spezifische ambulante medizinische Versorgung für Long-COVID-Erkrankte

  • Eine gezielte Weiterleitung an Ärzt*innen mit Expertise in Long COVID oder ME/CFS ist nicht möglich und auch nicht vorgesehen

  • Für schwer oder schwerst erkrankte Personen (bettlägerig) wird keine Versorgung durch Hausbesuche angeboten

  • Betroffene werden vertröstet, umgeleitet oder mit dem Rat „versuchen Sie es später noch einmal“ abgespeist

Gleichzeitig bleibt das von der KV Berlin betriebene sogenannte „Long-COVID-Netzwerk“, das als Lösungsansatz präsentiert wird, für Betroffene nicht zugänglich. Es arbeitet intransparent, mit unbekannten Qualitätskriterien und ohne nachvollziehbare Versorgungsziele. Die Namen der beteiligten Ärzt*innen werden nicht veröffentlicht – eine Überweisung dorthin ist nicht möglich.

Die Ergebnisse dieser Recherche wurden den Mitgliedern des Gesundheitsausschusses übermittelt. Eine geschwärzte Version steht Journalist*innen auf Anfrage zur Verfügung.

Hier eine Auswahl an Eindrücken aus den Telefonaten:

“Ich erklärte, dass ich hausärztlich versorgt bin, meine Ärztin jedoch mit der Behandlung überfordert sei und mir keine Off-Label-Medikamente verschreibt. Daraufhin räumte sie direkt ein, dass die meisten Ärztinnen derzeit überfordert seien.”

“Ihr Ratschlag: Noch einmal bei 116117 anrufen – aber Long COVID besser nicht erwähnen. Einfach sagen, man suche eine*n Hausärzt*in. Dann in der neuen Praxis ganz „normal“ als Patient*in auftauchen, beobachten, wie man dort reagiert, und alle vorgeschlagenen Untersuchungen erstmal mitmachen.”

“Auf meine Nachfrage nach ärztlich geführten Anlaufstellen wurde mir erklärt, so etwas sei „derzeit nicht machbar“. Stattdessen sei eine nicht-ärztliche Anlaufstelle in Berlin geplant – was mich entsetzt hat: Wie soll eine Sozialberatung medizinische Probleme wie Long COVID lösen?”

“Empfehlungen sind oft realitätsfern: z.B. Praxen in entlegenen Stadtteilen trotz eingeschränkter Mobilität, oder der Ratschlag, doch wieder bei den Eltern einzuziehen (ich bin über 40 Jahre alt).”

“Die Mitarbeiterin vom ärztlichen Bereitschaftsdienst hat darauf bestanden, dass sie für bettlägerige ME-Patient*innen nichts tun können – sie hätten nicht mal Möglichkeiten, jemanden zur Blutabnahme zu schicken, weil sie mit keinem Labor zusammenarbeiten.”

Zu den Forderungen des Berlin Buyers Club gehören:

  • Eine öffentlich einsehbare Liste von Berliner Ärzt*innen mit Expertise in Long COVID und ME/CFS

  • Die teils massiven Wissenslücken im ärztlichen Bereich schließen– im sechsten Jahr der Pandemie ist Unwissen über Langzeitfolgen von SARS-CoV-2 nicht länger hinnehmbar

  • Qualitätssicherung durch transparente, überprüfbare Weiterbildungsstandards

  • Zugang zu ambulanter medizinischer Versorgung auch für schwer und schwerst Erkrankte

  • Anerkennung von Long COVID und ME/CFS als somatische Erkrankungen, die medizinisch – nicht psychosomatisch – zu behandeln sind. 

English translation:

"Just Call 116 117"?
New Findings Reveal Berlin's Long COVID Care is virtually non-existent

Berlin, April 28, 2025
— After public claims by the Kassenärztliche Vereinigung Berlin (KV Berlin) that people with Long COVID and ME/CFS should call the 116117 hotline to access care, our latest investigation reveals that this advice is inadequate and dangerously misleading.

Berlin Buyers Club, an activist collective known for advocating for Long COVID and ME/CFS, has compiled over 20 firsthand accounts from patients and caregivers who followed KV Berlin's advice, shared on March 31, 2025, during a hearing at Berlin's House of Representatives, and called the 116117 hotline. The result: not a single person received appropriate care through the recommended hotline. Instead, they were left in eternal loops, redirected to unrelated services, and according to patient testimonies, some were advised not to mention Long COVID at all when approaching new doctors to avoid an immediate rejection.

"What we've uncovered is truly disturbing," says a member of Berlin Buyers Club. "A representative for KV Berlin contacted people affected and spoke to them condescendingly and argumentatively. We are disappointed and gravely concerned for our community."

The information shared with us uncovers a troubling pattern:

  • Zero successful referrals to Long COVID (or ME/CFS, Dysautonomia) competent physicians via 116117

  • No access to home visits or efforts to make contact accessible for people severely impacted and confined to bed

  • No ability to filter for Long COVID expertise through official services

  • Staff unaware of the promises made by KV Berlin's leadership

  • Patients gaslit, redirected, or told to 'try again later'


What affected people and their carers reported:

  • A bedbound patient with limited support was told to send family members to plead with clinics in person for an appointment

  • People were instructed not to mention Long COVID to increase their chances of being accepted by doctors

  • A KV Berlin representative dismissed serious infection control failures, such as nurses ignoring and mocking an immunocompromised patient’s requests to mask, as irrelevant

  • Patients whose GPs refused to implement treatment suggestions from Charité’s Fatigue Centrum, were told this was “normal”


Another affected person reported being advised to "be more friendly" when visiting a healthcare clinic. Several were pressured to disclose their doctor's names so the KV representative could "speak to them".
Meanwhile, the "Long COVID network" operated by KV Berlin, often cited as a solution, remains entirely secret. This network, which is supposed to educate doctors, operates without transparency. Participating doctors' names are hidden, and no public referral system is available.

These findings have been submitted privately to members of Berlin’s state parliament. A redacted version is available upon request for journalists.

Our demands include:

  • A public list of doctors with Long COVID and ME/CFS expertise

  • Transparent standards and quality control for training

  • An end to forced gatekeeping through uninformed GPs

  • Accessible, written pathways to care for severely ill and cognitively impaired patients

  • Recognition of Long COVID and ME/CFS as physical diseases requiring biomedical care.

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Protest gegen katastrophale Versorgung von Long-COVID-Betroffenen in Berlin - KV Berlin muss Rede und Antwort stehen